Mittwoch, 1. Februar 2012

Die Sache mit dem Internet

Ja, es ist unvorstellbar groß, es verbindet Menschen auf der ganzen Welt miteinander und es ist für viele eine gigantische Wissensdatenbank. Das Internet, das große weiltweite Netz, worldwide, von jedem nutzbar, relativ kostengünstig und frei. Wir haben freien Zugang zu Online-Enzyklopädien, dürfen unsere Meinung frei und anonym in Foren äußern und können anderen, sei es bei YouTube, bei Sharehosting-Lösungen wie Rapidshare oder sonstigen Angeboten Daten frei zur Verfügung stellen. Egal wo man auf der Welt lebt, selbst in autoritären Staaten, deren Regierungen teilweise sogar online organisiert gestürzt werden, deren Zensur Internetseiten fleißig sperren lässt - nirgendwo ist unsere Welt so frei wie im Netz.

Frei? Ist das wirklich so? Ja, vielleicht. Noch. Denn heute wurde das "Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement (ACTA)" - also das Handelabkommen zur Abwehr von Fälschungen - unterzeichnet. Während in den USA noch vor wenigen Tagen gegen die Gesetze SOPA und PIPA protestiert wurde, Wikipedia nur aus einer schwarz-weissen Seite bestand und Google einen Zensurbalken trug, wurde in der EU klammheimlich eben jenes internationale Abkommen zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen zur Endfassung ausgefeilt; heute wurde es - ziemlich unbemerkt - ausgefertigt. Beteiligt sind die Mitgliedsstaaten der EU, Australien, Kanada, Japan, Korea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, die Schweiz und die USA. Ziel des Abkommens ist es, Produktpiraterie zu bekämpfen; Dokumente sollen einen besseren Schutz erhalten. Darunter fallen Filme, Bilder, Texte und Musik. Bei den Vertretern der Musikindustrie dürften heute die Sektkorken geknallt haben. Es klingt vielleicht auch für Otto Normalverbraucher gut, denn wer etwas Verkaufen möchte, möchte nicht, dass sein Produkt oder seine Idee gestohlen und anderweitig billiger verkauft oder gar verschenkt wird - das versteht jeder. Aber was bedeutet dies für die so hoch gelobte Freiheit im Internet?

Wenn die Betreiber von Angeboten wie YouTube oder Clipfish dazu verdonnert werden, ihre User auf Urheberrechtsverletzungen zu überwachen und gegebenenfalls Nutzer zu sperren; wenn Internetprovider gezwungen werden, ihren Kunden den Zugang zum Internet zu verweigern, weil diese via Tauschbörse verbotenerweise Musik heruntergeladen haben, dann würden im gleichen Atemzug wohl auch viele Onlineangebote stark eingeschränkt werden, sofern sie überhaupt noch möglich wären. Auch Angebote wie Facebook oder diese Plattform hier würden durch das Abkommen aufs Stärktste eingeschränkt werden. Betreiber müssten einen riesigen Überwachungsapparat installieren, der wohl kaum im Verhältnis zum erhofften Nutzen stünde. Die Vielzahl der Angebote und Möglichkeiten - auch die, seine Meinung im Netz frei und anonym zu äußern - würden wohl mittelfristig ganz von alleine ausgedünnt werden. Warum ich dies alles in der Möglichkeistform schreibe? Nun, der Text dieses Abkommens ist stellenweise sehr schwammig formuliert, so dass momentan wohl nur wenig davon umgesetzt werden dürfte. Aber es ist ja auch nur der Anfang.

Die US-Gesetze SOPA und PIPA sind keineswegs vom Tisch - sie liegen nur auf Eis. Man hat die Verabschiedung der beiden Normen auf unbestimmte Zeit verschoben, nicht verworfen. Treten diese Geseetze inkraft, so werden vermutlich die Userzahlen bei Facebook &  Co in den Keller sinken. Aber auch das ist längst nicht alles. Google beispielsweise geht nun dazu über, die gesammelten Daten seiner User miteinander zu verknüpfen, was bisher ausdrücklich laut Aussage des Konzerns nicht geschehen sollte. Nutzer von Google-Angeboten mussten in den letzten Tagen allesamt neue Nutzungsbedingungen akzeptieren. Es gibt viele solche Datenkraken im Netz, und nahezu jeder von uns ist betroffen. Wer dachte, dass nur Google und Facebook unsere Daten sammeln, liegt damit gehörig falsch. Das Sammeln, Verknüpfen und Verwerten von Nutzerdaten ist ein Milliardengeschäft; die meisten Betreiber von großen Online-Angeboten wollen ein Stück von diesem Kuchen abhaben. Doch viele Menschen glauben, hier gehe die Freiheit zu weit und daher ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch in Deutschland schärfere Gesetze gefordert werden. Nicht nur zur Bekämpfung der Musik- und Filmpiraterie, nein, auch zum Schutze privater Daten. Ich kann mir gut vorstellen, dass eines Tages ein "Grundrecht auf Unantasbarkeit von persönlichen Daten" diskutiert wird. Das klingt zwar im ersten Moment ziemlich banal, aber wer von uns kann schon in die Zukunft sehen? Und wie war das noch gleich mit dem Klarnamenzwang im Internet? Kaum jemand würde das Medium mehr zur freien Meinugsäußerung oder zur Selbstdarstellung nutzen, wenn die Anonymität fehlt. Wie immer entsprechende Regelungen aussehen mögen - kommen werden sie. Früher oder später. Je mehr wir ausspioniert werden, je mehr Onlinekriminalität sich entwickelt, desto wahrscheinlicher werden solche gesetzlichen Ausgestaltungen in Deutschland, Europa und in der Welt.

Frei? Ist das wirklich so? Ja, vielleicht. Noch. Deshalb sollten wir das Internet nutzen - anonym, frei, weltweit - solange wir noch können. Denn eines steht fest: die Tage der Freiheit im Netz sind gezählt. Das Web wird in etwa fünf bis zehn Jahren wohl kaum mehr so aussehen wie heute, weil es dann von allen Seiten kontrolliert wird.