Samstag, 5. Mai 2012

Die Sache mit der EM

Soso, da haben wir mal wieder ein Thema. Ein Thema über welches wir munter diskutieren können damit nach dem Schlusspfiff wieder Friede, Freude, Eierkuchen herrscht und die nächste Sau durchs Dorf getrieben werden kann.

Ich fasse mal kurz zusammen: Wir empören uns, weil ein korruptes Regime eine ebenfalls korrupte Millionärin inhaftiert hat, welche jetzt schwer krank ist und sich im Hungerstreik befindet. In Wahrheit empören wir uns aber, weil wir mit gutem Gewissen in ukrainischen Stadien hocken, Bier saufen und herumgröhlen wollen. Weil wir überbezahlten Fußballspielern zujubeln wollen, die von den eigentlichen Problemen des Landes nicht den leisesten Hauch einer Ahnung haben und auch nicht haben wollen. Denn diese sind weitaus ekelhafter als wir denken - aber das wollen wir nicht wissen.

Um was geht es? Um Timoschenko? Keineswegs. Mal ehrlich - die Frau ist uns doch im Prinzip egal. Sie ist für uns nur eine Ablenkungsfigur. Sicherlich - in ukrainischen Gefängnissen geht es den Menschen schlecht. Die Haftbedingungen sind wohl in keinem Land so gut wie bei uns. Da brauchen wir nur mal in Richtung Italien oder Frankreich schauen. Da sieht's - was Haftbedingungen betrifft - schon ganz anders aus. Und noch schlimmer ist das natürlich auch in der Ukraine. Ja, die Situation in ukrainischen Gefängnissen ist schlimm. Aber wäre sie das nicht auch, wenn man Frau Timoschenko freilassen würde? Wen interessieren die vielen anderen Häftlinge, die wegen Kapitaldelikten, Drogenhandel oder Kindesmissbrauch entweder gefoltert oder sich selbst überlassen werden? Wen interessieren die anderen Probleme des Landes? Wer weiß etwas über das landesweite Alkoholproblem, weil dort Bier auch von minderjährigen zum Frühstück getrunken wird wie hierzulande Apfelschorle? Wer empört sich über das massive HIV-Problem in dem Land? Wer über die mafiös durchorganisierte Kinderprostitution? Ich sag' es Ihnen: Keine Sau! Wir diskutieren hier lieber über mishandelte Hunde und über eine (übrigens zurecht!) inhaftierte Millionärin die im Gefängnis logischerweise nicht den üblichen Luxus genießt. Um was geht es also? Natürlich um uns. Und zwar nur um uns. Alles was uns interessiert, ist, eine feucht-fröhliche EM zu feiern. Ohne schlechtes Gewissen. Würde man Frau Timoschenko freilassen oder von deutschen Ärzten behandeln lassen, wäre alles supi für uns. Olé olé, wir sind humanistisch und haben mit unserem Protest was wirklich tolles erreicht - weil wir so toll sind.

Das Julia Timoschenkos Inhaftierung natürlich auch ein Stück weit politisch motiviert ist - ist soweit klar. Sie versuchte, Putins Erdgas-Sanktionen zu unterwandern und hat damit erst einmal Putin und dann der Ukraine geschadet. Was aber hierzulande kaum einer weiß - sie hat staatliche Gelder veruntreut. Sie hat in den 90er Jahren Steuern hinterzogen, Geldwäsche betrieben. Es soll sogar Hinweise darauf geben, dass sie in einen Mordfall verwickelt sei. Die Liste der Vorwürfe gegen Sie ist wirklich lang - ich halte es für abwegig, dass sich eine Regierung mehr als eine polittische Affäre einfach nur ausdenkt. Ginge es "nur" um Steuerhinterziehung, wäre dies eher denkbar. Alleine das Lesen der Vorwürfe bei Wikipedia lässt vermuten, dass sie nicht so sauber zu sein scheint, als sie es vorgibt. Egal wie - solange sie Präsidentin des Landes war - war sie vor Verfolgung sicher. Nach ihrer Abwahl aber war sie es nicht mehr. Sie wurde zurecht verurteilt und inhaftiert - weil sie selbst korrupt ist und war. Und weil das nebenbei auch Putin in die Hände spielt, sagt sie nun, ihre Verurteilung sei ausschließlich politisch motiviert. Ja, sie leidet an einem Bandscheibenvorfall. Sie wollte deswegen behandelt werden, hat öffentlichkeitswirksam protestiert - und sie wurde schließlich auch behandelt. Auch dass wird in unseren Medien eher selten vermittelt. Nein - das Ganze ist ein Schachzug ihrerseits. Ein medienwirksamer Schachzug.

Das gilt auch für den Hungerstreik. Ein Hungerstreik ist immer etwas, was sehr viel mediale Aufmerksamkeit erregt - das wussten schon die RAF-Terroristen. Aber wussten Sie, dass derzeit bereits seit ca. vier Wochen ein weiterer Hungerstreik stattfindet? Ja, Sie haben richtig gelesen. Ungefähr 2000 Inhaftierte in einem israelischen Gefängnis protestieren auf diese Weise gegen die sogenannte Verwaltungshaft. Verwaltungshaft bedeutet, dass Mitarbeiter der Verwaltung und Polizisten - also nicht die Justiz - Personen einsperren dürfen, wann immer sie der Ansicht sind, die betreffende Person sei gefährlich - aus welchem Grund auch immer. Die Internierung erfolgt dann ohne Prozess und ohne Angaben darüber, wie lange derjenige sitzen wird. Einige sind schon seit mehreren Jahren eingesperrt. Die meisten sind Palästinenser. Interessiert das hier jemanden? Nein, natürlich nicht. Aber im nahen Osten ist ja auch keine Fußball-EM.

Übrigens: Ein Boykott hilft dem Land nicht weiter! Die ohnehin schon klamme Ukraine hat sich weiter verschuldet, damit die Stadien rechtzeitig fertig werden. Diese müssen ja schließlich UEFA-konform sein. Man braucht dort jeden Cent - auch von uns. Darum sollte man dahin fahren, die Spiele ansehen, dort übernachten und vielleicht irgendwo essen gehen, damit wenigstens ein kleiner Teil unseres Geldes in dem Land bleibt.

Diese ganze Timoschenko-Debatte ist also nichts weiter als der Versuch, eine Möglichkeit zu finden, in einem problemüberhäuften Land guten Gewissens eine dufte Party zu feiern und sich nicht um das restliche Volk zu scheren. Wäre in der Ukraine nicht EM - Weder Frau Timoschenko noch irgendein Straßenköter würde uns interessieren. Und wäre Frau Timoschenko nicht inhaftiert - kein Mensch hätte etwas für das Land selbst und seine Probleme übrig. Na dann - Olé olé Schlaaaaand!