Montag, 26. März 2012

Die Sache mit den Piraten

Da ich unlängst Zeuge eines sehr unqualifizierten Gespräches über die Saarland-Wahl und den Erfolg der Piratenpartei wurde, habe ich mir vorgenommen, hier mal wieder einen Beitrag zum Besten zu geben. "Wer solche Leute wählt, muss ein absoluter Idiot sein" bekam ich unter Anderem zu hören. Dieses Gespräch enthielt noch weitere tolle Kommentare, die ich hier nicht wiedergeben möchte.

Die Piratenpartei als "solche Leute" und "Chaoten" zu bezeichnen und deren Wähler den Titel "Idioten" zu geben, halte ich persönlich mal wieder für eine typisch engstirnige und typisch deutsche Verhaltensweise, die nur davon zeugt, wie wenig Gedanken sich manch einer hierzulande über unsere Zukunft macht.

Wer sich den Internet-Auftritt der Partei ansieht, wird Inhalte finden. Sicher sind nicht alle Inhalte so ohne Weiteres umsetzbar. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen muss selbstverständlich an die Frage geknüpft werden: Wer soll das bezahlen? Derzeit eher utopisch als realistisch. Ähnlich verhält es sich mit dem Ruf nach einer teilweisen Legalisierung von Drogen. Der Knackpunkt dieser Forderung ist ganz einfach der, dass die Piraten sich damit in eine etwas unglaubwürdige linke Ecke stellen. Aber ist das schlimm? Nein, keinesfalls. Man erinnere sich zurück an die Grünen in den 1980er Jahren. Die Mitglieder forderten einen sofortigen Atomausstieg. Die Menschen, die das damals hörten haben die Parteimitglieder der Grünen nur ausgelacht, sie als Öko-Freaks bezeichnet, die keine Ahnung vom Politikgeschäft hätten. Kam der Atomausstieg? Ja, aber nicht in den 80er Jahren. Wie hätte man Ersatz schaffen sollen? Welche alternativen Energien hätte es damals gegeben? Das mussten die Grünen lernen, sie mussten die bittere Pille schlucken, dass nicht jeder gut gemeinte Vorschlag sofort, mancher auch garnicht umsetzbar ist.

So oder so ähnlich wird es sich über kurz oder lang auch mit der Forderung der Piraten nach einem bedingungslosen Grundeinkommen verhalten. Es ist ein gut gemeinter Gedanke - nicht mehr und nicht weniger. Umsetzbar erscheint dies derzeit jedoch nicht. Und um das Beispiel des Atomausstiegs nochmal aufzugreifen: Die ersten Beschlüsse hierzu wurden erst 1998 unter Gerhard Schröder gefasst, anschließend hat die jetzige schwarz-gelbe Regierung den Ausstieg vom Ausstieg beschlossen und nach Fukushima den Ausstieg vom Ausstieg vom Ausstieg. Bis 2022 sollen alle AKW's abgeschaltet sein. Dann werden fast 40 (!) Jahre vergangen sein, seit die Grünen die Abschaltung erstmals gefordert haben. Man sieht - solche radikalen Umbrüche sind keinesfalls so radikal wie sie zunächst erscheinen mögen. Nur keine Angst lautet also die Devise. Haben die Piraten noch andere Inhalte? Und wie!

Sie beziehen Stellung zum Thema Bildung, KiTa-Plätze, Innere Sicherheit, Energiepolitik und vieles mehr. Natürlich steht auch deren Klassiker "freise Internet" vorne auf der Agenda. Einzig und allein das Thema "Eurokrise" und "ESM" wird von den Piraten ausgespart. Ein Sprecher gab hierzu nur bekannt: "Wir haben keine Linie zum Thema Euro". Und diese Tatsache weckt die Missgunst der engstirnigen Marktplatzpolitiker. Wie soll eine Partei je Fuß fassen können, wenn sie hierzu keine Meinung hat? Sie werden als Chaoten abgetan. Doch genau diese Stimmenthaltung macht womöglich den Erfolg der Piraten aus. 

Wer heute die Nachrichten verfolgt, tut sich häufig schwer, diese auch inhaltlich aufzunehmen. Politik ist heute nur etwas für "Insider". Zumindest könnte man das denken. Kaum einer versteht, was eigentlich gemeint ist, viele Menschen können nichts mit dem anfangen, was etablierte Politiker von sich geben. Die Eurokrise zeigt das nur allzu deutlich. Selbst Wirtschaftsprofessoren und Chefvolkswirte widersprechen sich gegenseitig und scheinen auch kaum durchzublicken. Die Piraten wollen das ändern.

Kaum einer weiß heute, was genau der Bundesrat ist und aus wie vielen Mitgliedern er besteht. Ebenso wenig Wissen herrscht darüber, wie der Bundeskanzler ins Amt kommt oder die Minister. Fragen wie: "Wie genau entsteht ein Gesetz? Wieviele Mitglieder hat die Bundesversammlung? Welche Rolle spielen Parteien?" werden oft nur mit Schulterzucken beantwortet. Die Piratenpartei steht für Aufklärung über genau solche Dinge. Sie steht weiterhin für Transparenz in der Politik, Bürgernähe und Mitbestimmung. Eben genau das, was viele Wählerinnen und Wähler heute vermissen und deshalb lieber zu hause bleiben anstatt zur Wahlurne zu gehen. Immerhin: 20 % der Wählerstimmen für die Piraten im Saarland stammen aus dem Lager der Nichtwähler. Offenbar wird die Partei als Lichtblick angesehen, als jemand, der endlich einmal mit der Stimme des Volkes spricht. Die etablierten Parteien wechseln immer fleißig von Regierungsverantwortung zu Oppositionsbank und umgekehrt - als sei es eine Art Reise nach Jerusalem. Sie bewerfen sich gegenseitig mit Hartz IV, Steuererhöhungen, dann wieder Steuersenkungen, PKW-Maut usw. Die Opposition wirft der Regierung meistens genau die Fehler vor, die sie in der Vergangenheit selber gemacht hat bzw. in Zukunft selber machen wird. Und umgekehrt natürlich. Eigentlich ist es egal, ob man die Union, SPD, FDP oder Grüne wählt. Im Endeffekt kommt immer das Gleiche dabei heraus. Kein Wunder also, dass die scheinbare Politikverdrossenheit zunimmt.

Politikverdrossenheit? Aber nicht doch! Offensichtlich muss die vielbesagte Politikverdrossenheit als Politikerverdrossenheit bezeichnet werden. Diejenigen, die die Piraten gewählt haben, haben ihre Aufgabe als Wähler durchaus verstanden. Es fehlte bislang nur an echten Alternativen. Bürgernähe und Transparenz - Das kommt an. Ebenso die Tatsache, dass sich die Piraten innerhalb weniger Wochen in sämtlichen Bundesländern zu Landesgruppen organisiert haben. Ein unglaubliches Tempo, welches die Etablierten häufig vermissen lassen. 

Und sind die Piraten verfassungsfeindlich? Im Gegenteil. Sie bejahen das Grundgesetz. Nach deren Willen sollte es sogar mehr Grundrechte geben, als in unserer Verfassung schon verankert sind. Was davon Sinn macht und was nicht, bleibt natürlich abzuwarten. Aber: eine Partei, die es schafft, so viele Nichtwähler zu mobilisieren, kann unserer Demokratie nicht schaden. Die Basisdemokratie ist der Boden des Parlamentarismus. Die "Alten" im Bundestag werden sich auf die Piraten einstellen müssen. Und sie werden von ihnen profitieren. Jede Stimme eines Nichtwählers für die Piraten schwächt verfassungsfeindliche Parteien, die ich jetzt vorsichtshalber mal nicht nenne. Es kann also nur gut sein. 

Da wird sich auch so mancher Marktplatzpolitiker noch umsehen. Sicher, nicht von heute auf morgen - aber ganz bestimmt langfristig. Manche Ziele der Piraten mögen utopisch sein. Aber wie gesagt, das war bei den Grünen anfangs auch so - heute sind sie eine Feste Größe im Bundestag und in allen 16 Länderparlamenten. Ich denke, in ca. 20 Jahren werden auch die Piraten eine feste Größe sein - und einiges verändert haben.

Sonntag, 18. März 2012

Die Sache mit dem Präsidenten - die Fortsetzung

Haaaaaaaaaach, herrlich oder? Endlich ein neuer Präsident. Ein neuer Kapitän an Bord - wir fühlen uns wieder sicher. Wobei der Vergleich mit dem Kapitän eigentlich falsch ist; denn die Kanzlerin steuert schließlich unser Schiff. Aber nichts desto weniger hat sich heute eine Lücke geschlossen. Viele haben sich den Moment herbeigesehnt, in welchem Joachim Gauck zum 11. Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland gewählt wird. Die einen, weil sie endlich einen richtigen Präsidenten haben wollten, der auch unangenehm ist, polarisiert und ermahnt; diesem Lager gehöre ich an. Die anderen, weil sie die ewige Debatte über Sinn und Zweck dieses Amtes, die andauernden Meinungen und Beiträge zum Thema Ehrensold usw. nicht mehr ertragen konnten. Diesem Lager gehöre ich ebenfalls an. Ich möchte hier mal meine Sicht der Dinge über die Ereignisse der vergangenen Wochen zusammenfassen.

Dass ich kein großer Wulff-Fan bin und war, lässt sich sicher aus meinem Eintrag vom 13.01.2012 entnehmen. Dennoch bin ich nach wie vor der Ansicht, dass es nicht richtig war, Wulff aus dem Amt zu jagen. Letzten Endes war die ganze "Causa Wulff" nichts weiter als eine gezielte Hetzjagd, die dadurch entstand, weil verschiedene Tageszeitungen sich gegenseitig mit tollen Schlagzeilen überbieten wollten bzw. dies taten. Vom Hauskredit bis hin zum geschenkten Bobbycar - alles war dabei. Schließlich kam die Meldung, dass die Staatsanwaltschaft die Aufhebung von Wulffs Immunität beantragen wolle, was schließlich zu seinem Rücktritt führte. Ein Artikel jagte den nächsten, ein Skandälchen folgte aufs andere, Fernsehreporter huschten hinter Wulff her - das weckt natürlich das Interesse der Staatsanwaltschaft. Eigentlich kam alles so, wie es kommen musste.

Hat Wulff Fehler gemacht? Sicherlich, besonders im Umgang mit der Affäre. Hat er gelogen? Nein, aber er hat auch nicht die ganze Wahrheit erzählt. Schickt es sich für einen Politiker, an jeder Ecke kleine Gefälligkeiten mitzunehmen, nur weil man ist, wer man ist? Keinesfalls, besonders dann nicht, wenn man ein hohes Amt bekleidet. Hätte man ihn, unterstellt, der Wähler hätte gewusst, welches Geschäftsgebaren Wulff betreibt, zum Ministerpräsidenten von Niedersachsen gemacht? Sicher nicht. Gratisurlaube, hier eine Gefälligkeit, da ein kleines Gimmick - das sind alles Dinge, die vielleicht an sich nicht so schlimm sind. Von Spitzenpolitikern wollen wir aber dennoch vorallem eines: Ehrlichkeit. Und war Wulff ehrlich? Aus meiner Sicht nicht. So hatte Wulffs Rücktritt trotzdem sein Gutes. Rechtfertigt dies aber eine mediale Hetzjagd auf das höchste Amt im deutschen Staate? NEIN - zumindest nicht bei solchen Banalitäten. Jeden Tag neue Schlagzeilen, Rücktrittsforderungen aus Opposition und den eigenen Reihen, Demonstrationen, bei denen Menschen ihre Schuhe hoch hielten - das alle zeugt von mangelndem Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten. Das mit dem Schuhe hochhalten ist aus meiner Sicht ohnehin eine Peinlichkeit höchsten Grades: In Ägypten und Libyen nutzten Demonstranten diese Geste, um ihre Verachtung gegenüber einem Despoten zum Ausdruck zu bringen, der  Folter, Unterdrückung, Gewalt und Armut über das jeweilige Land gebracht hatte. Wulffs Fehltritte mit denen von Mubarak und Gaddafi zu vergleichen und dieses Zeichen der Verachtung nach Berlin zu importieren ist eine Ungeheuerlichkeit, die weitaus schlimmer ist als ein Gratisurlaub. Dies lässt nicht nur jeglichen Respekt vermissen sondern auch eine gewisse Fähigkeit, bestimmte Dinge zu differenzieren und zu beurteilen. Genauso verhält es sich mit der "Vuvuzela-Aktion" vor dem Schloss Bellevue bei Wulffs großem Zapfenstreich. Man hatte den Eindruck, die Demonstranten seien 16-jährige Schulabgänger beim Abschiedsscherz. Eine echte Peinlichkeit also und typisch deutsch.

Das Interessante an Wulffs Rücktritt war und ist meines Erachtens auch, dass jegliche Berichterstattung über angebliche Vorteilsannahme und dergleichen wie weggeblasen erschien. Stattdessen begann eine rege Diskussion über Ehrensold, Ehre im Allgemeinen und Zapfenstreich. Einem Bericht des FOCUS zufolge sollen die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hannover wesentlich umfangreicher sein, als bisher bekannt war. Dennoch wage ich an dieser Stelle mal die Prognose, dass die Ermittlungen oder vielmehr die mediale Aufarbeitung derer größtenteils im Sande verlaufen werden. Hier und da eine kleine Randnotiz - das war's. Vermutlich wird am Ende nicht viel dabei herauskommen: Wulff ist unschuldig, dennoch war sein Verhalten unmoralisch, Deutschland schüttelt nochmal mit dem Kopf und das Thema hat sich erledigt.

Was bleibt also? Ein neuer Präsident natürlich, welcher schon vor knapp zwei Jahren mein Favorit war. Ich habe mich heute wirklich gefreut, dass Joachim Gauck dieses Amt übernehmen darf. Endlich haben wir wieder, so hoffe ich zumindest, einen Mahner. Einen, der Menschen wach rütteln und die Politik kritisieren kann und wird. Natürlich sollte man ihn nicht vorab zum Helden küren, das könnte bittere Enttäuschungen mit sich bringen. Ich glaube aber dennoch, dass Joachim Gauck der bessere Präsident ist und ziehe so eine positive Bilanz aus der ganzen nervenaufreibenden Diskussion der letzten Wochen und Monate.  Und hoffentlich wird die Medienwelt nun auch wieder andere Themen entdecken. Haben Sie eigentlich schon mal wieder etwas von der "Costa Concordia" gehört?

Bis zum nächsten Dauerthema

Kai




Der NEUE Präsident